Größte Herausforderung: Zero-Tolerance Richtlinien

Save the Children e.V.

Foto: Simon Reza auf Unsplash

Mit dem Lieferkettengesetz werden ab 2023 zunächst ca. 600 große Unternehmen in Deutschland verpflichtet, gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße bei ihren weltweiten Zulieferern vorzugehen. Bei Zuwiderhandlungen wird das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) nicht nur Bußgelder, sondern auch einen dreijährigen Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen verhängen. Ein ähnliches, vermutlich noch schärferes Gesetz wird es bald auch auf EU-Ebene geben. Unternehmen tun also gut daran, die Anforderungen jetzt in den Blick zu nehmen und geeignete Partner für die Umsetzung zu suchen.

Von Franziska Lauer

Das Lieferkettengesetz wird voraussichtlich Ende Juni im Bundestag verabschiedet. Vor allem Unternehmensverbände warnen, dass sich das Gesetz auf deutsche Unternehmen wettbewerbsnachteilig auswirken werde. Nicht jedes Unternehmen sei in der Lage, jeden einzelnen von möglicherweise tausenden Lieferanten zu kontrollieren. Zahlreiche Unternehmen sind aber längst weiter als ihre Interessenvertreter und verlangen selbst ein solches Gesetz, denn nur dadurch werde Wettbewerbsgleichheit geschaffen. Save the Children berät seit über 10 Jahren zusammen mit der Tochterfirma The Centre for Child Rights and Business global einkaufende Unternehmen aus verschiedenen Wirtschaftsbranchen mit Risikoanalysen, Richtlinien, Prozessen und Trainings für den Schutz von Kinderrechten in Lieferketten – und macht all das mit überschaubaren Investitionen möglich. Die Achtung menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht ist für die Kinderrechtsorganisation also keine Frage der Kosten, sondern der Haltung – und sichert das Geschäft von morgen.

Es gibt keinen „Quick Fix“, stattdessen ist kontinuierliches Engagement gefragt

Viele Unternehmen fragen sich, was sie tun müssen, um sich auf das im Kabinett bereits beschlossenen Gesetz vorzubereiten. Den Rahmen geben die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschrechte vor: Risikoanalyse, Prävention, Abhilfe, Widergutmachung, Beschwerdemechanismen und transparente Berichterstattung sind wesentliche Bausteine. Sie gelten auch für das deutsche Lieferkettengesetz. Klar ist aber auch, dass es keinen „Quick Fix“ für Menschrechtsverletzungen gibt. Nur wer sich dauerhaft engagiert, kann sich glaubwürdig für den Schutz von Menschenrechten im eigenen Geschäftsbetrieb einsetzen. In Deutschland arbeitet Save the Children zum Beispiel mit Unternehmen wie Otto, Lidl und Seidensticker zum Schutz von Kinderrechten in Lieferketten. Dabei werden Prozesse etabliert, die zum Beispiel die Prävention von Kinderarbeit systematisieren und bei Verdachtsfällen die Rückführung in kinderrechtssichere Verhältnisse sicherstellen oder proaktiv legale Beschäftigungsmöglichkeiten für jugendliche Arbeitnehmer schaffen. So zahlen die Unternehmen auf die Anforderungen des Gesetzes ein, bevor es überhaupt in Kraft tritt.

Die Partner Lidl und Save the Children haben in 2020 zudem ein ambitioniertes Projekt in der Haselnusslieferkette auf den Weg gebracht, das gleichzeitig als Modell für landwirtschaftliche Lieferketten im Allgemeinen dient. Das Besondere: Hier wird die gesamte Lieferkette betrachtet und dem Tier-1-Lieferanten kommt eine tragende Rolle hinsichtlich der Umsetzung von Richtlinien und Prozessen bis in die Haselnussgärten zu. Das Projekt in der Türkei wird im Rahmen der Kampagne „Wir stoppen Kinderarbeit“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung als besonders innovativ gefördert und durch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit unterstützt.

Mit Blick auf Menschen- und Kinderrechte besteht laut Save the Children die größte Herausforderung für Unternehmen in ihren Zero-Tolerance Richtlinien, die sich als gängige Präventionsmaßnahme gegen Menschenrechtsverletzungen bei Zulieferern etabliert haben. Der Ansatz macht aus Unternehmens- und Compliance-Sicht durchaus Sinn, führt aber oft dazu, dass Lieferanten aus Angst vor Sanktionen Probleme lieber verbergen, anstelle sie konstruktiv und in Absprache mit den einkaufenden Unternehmen anzugehen. Den Betroffenen, abgedrängt in die Unsichtbarkeit, geht es dann oft noch schlechter: Wenn z.B. ein Kind aus einer Fabrik entfernt wird, landet es häufig in illegalen, gefährlichen Arbeitsbedingungen. Sinnvoller ist ein Ansatz „beyond compliance“, in dem die Betroffenen in legale Arbeit und/oder Bildungsangebote vermittelt werden und somit Wiedergutmachung erfahren – wie es das Gesetz in Zukunft fordert. Zudem torpediert die Richtlinie bei vielen Unternehmen das Ziel der transparenten Kommunikation. Denn wenn bei Zulieferern keine Probleme bestehen dürfen, tun sich Unternehmen schwer damit, sie öffentlich anzusprechen, wenn sie auftreten – das geschieht oft selbst dann, wenn längst gute Abhilfeprogramme auf den Weg gebracht wurden.

In jedem Fall aber ist es an der Zeit, die Angst vor dem Gesetz abzulegen. Wer sich bisher mit dem Thema Menschenrechtsverletzungen in der eigenen Lieferkette nur am Rande auseinandersetzen konnte, kann viel von den vorhandenen best practice Beispielen, die es in fast jeder Branche gibt, lernen. Beratung bietet auch der Helpdesk für Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung. Darauf aufbauend können Strategien entwickelt und die richtigen Partner gesucht werden – im Sinne einer gerechteren Welt, für die wir alle gemeinsam verantwortlich sind.

Franziska Lauer
ist Lieferkettenexpertin bei Save the Children Deutschland
franziska.lauer@savethechildren.de

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